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Lügen will gelernt sein!

Von kruschel

Portrait Kerstin Petry

Na, hast du deine Zähne geputzt?“, frage ich meinen sechsjährigen Neffen, der bei uns übernachtet und sich gerade ins Bett gekuschelt hat. „Klar“, sagt er, ohne zu zögern. Ich schaue im Bad nach und natürlich ist die Zahnbürste staubtrocken und das Waschbecken ebenso. Jetzt hat er also das Flunkern entdeckt, denke ich und überlege, wie ich damit am besten umgehe. Schließlich will ich auch nach diesem Wochenende noch die heiß geliebte und coole Patentante sein.

Ab wann fangen Kinder eigentlich an mit dem Flunkern? Klar ist: Kinder kommen nicht als Lügner zur Welt. Nicht umsonst gibt es den Spruch: „Kindermund tut Wahrheit kund.“ Erst mit etwa vier Jahren ist ein Kind in der Lage, sich in die Gedanken seiner Mitmenschen hineinzuversetzen und damit auch bewusst zu schwindeln. Damit wird es für uns Erwachsene kompliziert. Denn zum einen wollen wir, dass unsere Kinder ehrlich zu uns sind. Andererseits finden wir es prima, wenn die Kinder aus Höflichkeit verschweigen, dass sie das Geschenk des Onkels schrecklich finden und einfach brav „Danke“ sagen. Außerdem ertappen sie uns Erwachsene auch ab und an bei einer Notlüge oder entdecken, dass wir ihnen jahrelang die Existenz des Osterhasen oder des Weihnachtsmanns vorgegaukelt haben.

Zu verstehen, wann Lügen okay ist, und wann nicht, ist für Kinder nicht einfach. Was ist denn nun erlaubt und was verboten? Und was bedeutet es, wenn Kinder anfangen zu lügen? Trösten können wir Erwachsenen uns damit, dass Kinder, die lügen, recht kreative und intelligente Menschen sind, weil sie sich teilweise komplexe Geschichten ausdenken und diese aufrechterhalten müssen. Flunkern im Kindesalter ist zudem nicht ungewöhnlich und ein völlig normaler Lernprozess. Aber wie gehe ich jetzt mit den ungeputzten Zähnen um? Ratgeber empfehlen hier, dass man als Eltern vor allem die Motivation klären soll. Lügt das Kind, weil es Angst vor Bestrafung hat? Will es vor einem Freund bestehen oder hat es einfach keine Lust, etwas Ungeliebtes zu tun? Dann sollten Eltern erklären, warum Ehrlichkeit wichtig ist, und dem Kind damit einen moralischen Kompass mit auf den Weg geben ohne das Kind zu sehr zu verwirren.

Das allerdings sind die Ratschläge für Eltern, die ich bei meinen Kindern mehr oder weniger souverän zum Einsatz gebracht habe. Aber in diesem Fall bin ich die coole Patentante und spiele an diesem Abend eiskalt diesen Bonus aus. „Ich habe auch schon Zähne geputzt“, sage ich. Denke an meine staubtrockene Zahnbürste im Bad und kuschele mich zu meinem Neffen ins Bett. Manchmal ist es einfach toll, nicht Mama, sondern Tante zu sein.

Kerstin Petry