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Geteilte Zeit ist volle Arbeit

Von kruschel

Portrait Kerstin Petry

Morgens, wenn ich um sechs Uhr aufstehe, höre ich Radio und gönne mir mit einer Portion Nachrichten den ersten Adrenalinkick des Tages. Zurzeit geht es darin oft um die Frage, ob wir Deutschen genug arbeiten oder ob wir zur Belebung unserer Wirtschaft nicht wahlweise Feiertage abschaffen, Rentner zurück in Arbeit schicken oder Frauen aus ihrer „Teilzeitfalle“ befreien sollten. Bei dem Wort „Teilzeitfalle“ muss ich jedes Mal lachen – so ein müdes, leicht hysterisches Lachen. Denn während ich dieses Wort vernehme, decke ich den Tisch, schmuggle Vitamine in Brotdosen, checke Bahnverspätungen und Schulstundenausfälle. Außerdem stehen auf der To-do-Liste meiner Nichtarbeitszeit die Organisation von Klassenfesten, Sitzungen des Schulelternbeirats und Fördervereins oder das Schreiben von Artikeln für den Sportverein der Kinder. Ehrenamtlich, versteht sich. Neben meinem Teilzeitjob. Und dem ganz normalen Familienwahnsinn.

Was in der Debatte nämlich gern vergessen wird: Viele Teilzeitfallen-Frauen arbeiten längst Vollzeit – nur eben unbezahlt. Sie organisieren, moderieren, koordinieren. Sie halten das soziale Miteinander am Laufen, während sie Mama-Taxi spielen, trösten und Turnbeutel suchen. Sie sind das Rückgrat von Kitas, Schulen und Vereinen und damit auch ein stiller Motor unserer Wirtschaft. Denn ohne Ehrenamt läuft nichts – auch kein Standort Deutschland.
Ein großer Teil des Problems ist sicher, dass Frauen auch heute noch viel mehr Sorgearbeit leisten als Männer. Laut Bundesfamilienministerium wenden Frauen pro Tag im Durchschnitt 43,4 Prozent mehr Zeit für unbezahlte Sorgearbeit auf als Männer. Dieser Unterschied wird als Gender Care Gap bezeichnet und hält Frauen fest in der Teilzeitfalle.

Natürlich wäre es schön, wenn mehr Frauen Vollzeit – und vor allem voll bezahlt – arbeiten könnten, aber dann müssten auch die Strukturen stimmen: Dabei geht es vor allem um bessere und verlässliche Kinderbetreuung und mehr finanzielle Anreize für Frauen und Männer, damit eine gleichberechtigte Aufteilung der Sorgearbeit attraktiver wird. Ein bisschen Anerkennung für all die unbezahlten Stunden, die wir in Elternbeiräten und Co. verbringen, könnte auch nicht schaden. Bis dahin frage ich mich: Wenn wir Frauen all das Ehrenamtliche und die familiäre Sorgearbeit einfach mal lassen würden: Wer bitte macht das dann, und wie viel Wirtschaftskraft und sozialer Zusammenhalt gingen diesem Land dadurch flöten?

Kerstin Petry