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Das Christelkind kommt

Von Kerstin Petry

Portrait Kerstin Petry

Es gibt ja viele Phasen, die Kinder im Laufe ihrer Entwicklung durchlaufen. Meine Kinder sind bereits so alt, dass wir einige davon schon länger hinter uns gelassen haben: Die beiden schlafen durch, schmeißen das Essen nicht mehr aus Experimentierfreude durch die Gegend, wir haben die Autonomiephase, die orale und die Pipi-Kacka-Pups-Phase erfolgreich abgehakt (toi, toi, toi) – und ich vermisse keine dieser ganz speziellen Lebensabschnitte so wirklich.

Einer Zeit allerdings trauere ich doch ziemlich hinterher: Der magischen Phase, zu der ja auch der Glaube an Nikolaus, Christkind und Co. gehört. Am Nikolaustag einen Brief schreiben, die Stiefel putzen, Milch und Plätzchen rausstellen machen wir sogar immer noch. Einfach weil es so schön ist und wir doch alle einen Hauch von Magie im Leben brauchen. Morgens bleiben dann nur Krümel übrig, der Nikolaus hat seine Unterschrift auf den Brief gesetzt, und die Stiefel sind prall gefüllt.

Auch ein verkleidetes Christkind besuchte uns einige Jahre an Heiligabend. Ein Brauch, den ich aus meiner Kindheit kenne und weitergeben wollte. Allerdings konnte ich unser Ritual in diesem Fall nicht allzu lange aufrechterhalten. Denn die wahre Identität des Christkinds wurde irgendwann enttarnt. Für die Rolle auserkoren hatten wir unsere Nachbarin Christel, die sich bereitwillig Jahr für Jahr in ein langes weißes Kleid hüllte und ihr Gesicht hinter einem weißen Tüll-Schleier verbarg. Irgendwann am Abend klopfte es auf unser Signal hin an der Terrassentür. Wir ließen die Rollläden hoch und da standen Geschenke und das strahlend weiße Christkind, das aber leider immer schnell weiter musste – es ist halt ziemlich busy an Heiligabend. Winkend und mit wehendem Kleid huschte es davon und hinterließ staunende Kinder. In einem Jahr allerdings passierte es dann: Das Christkind trug unter seinem Kleid Schuhe, die meinem Sohn von nebenan seltsam bekannt vorkamen. In einer ruhigen Minute fragte er mich: „Mama, kann es sein, dass Christel das Christkind ist?“ Und ich antwortete: „Ja, du hast recht. Zu uns kam all die Jahre nicht das Christkind, sondern das Christelkind.“ Seitdem verkleidet sich unsere Nachbarin nicht mehr – wir lachen aber jedes Jahr wieder über die Geschichte und unsere ganz persönliche Christelkind-Phase.
Eine magische Vorweihnachtszeit wünscht dir deine
Kerstin Petry