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Warum Geschwister wie Gummibärchen sind

Von Christina Bachmann, dpa

Unzertrennlich sein und sich zerhacken wie Streithähne: Geschwister können beides. Eltern bringt das manchmal an den Rand der Verzweiflung. Ein Plädoyer für den Wert von Geschwisterbeziehungen.

Irina Heß/Westend61/dpa-tmn

Geschwister kann man sich nicht aussuchen. Man wird einfach hineingeboren in diese Beziehungen und bleibt für immer große Schwester oder kleiner Bruder. «In der Regel ist die Geschwisterbeziehung die längste, die wir im Leben haben», sagt Psychologin und Psychotherapeutin Carola Hoffmann. «Sie ist länger als alle Freundes- und Liebesbeziehungen und länger als die Beziehung zu den Eltern.»

Hoffmann ist selbst Schwester eines Bruders sowie Mutter von vier Kindern. «Man könnte es mit einem Komponentenkleber vergleichen: Hat man ihn einmal drauf, kriegt man ihn nur schwer wieder ab», sagt sie lachend. «Geschwister sind wie Gummibärchen», titeln die Autorinnen Ursi Breidenbach und Heike Abidi. «Dass Geschwister regelrecht zusammenkleben, habe ich mit meinen Schwestern erlebt und erlebe es jetzt auch bei meinen Söhnen», so Ursi Breidenbach.

Nach Abnabelung entsteht wieder Nähe

«Aber man hat sie auch manchmal über», sagt sie und zieht damit eine weitere Gummibärchen-Parallele. «Gerade in der Pubertät, wo man sich nicht nur von den Eltern, sondern auch von den Geschwistern ablösen muss.» Letzten Endes gilt aber in der Regel: «Man hat sie ein Leben lang lieb und nach der Ablösung entsteht auch oft wieder mehr Nähe.»

Heike Abidi ist Schwester von zwei jüngeren Brüdern. Auch wenn sie als Mädchen und zwei Jungs nicht so eng zusammengeklebt haben, empfindet sie Geschwister als Schicksalsgemeinschaft. «Man lebt räumlich eng zusammen und muss miteinander klarkommen, auch wenn manchmal die Fetzen fliegen. Und wenn es hart auf hart kommt, ist man füreinander da.»

Auseinandersetzungen als Übungsfelder

Wenn zwischen ihren Kindern oft die Fetzen fliegen, können Eltern schnell genervt sein. Dass solche Situationen wichtige Übungsfelder sind, ist vielleicht ein kleiner Trost. «Kinder brauchen Reibung», betont Carola Hoffmann. «Die suchen sie bei den Eltern, aber auch bei den Geschwisterkindern, um Auseinandersetzungen zu trainieren. Wenn wir als Eltern zu früh eingreifen, nehmen wir dieses Übungsfeld.»

Und Reibung erzeugt Wärme, stellt die Psychologin heraus. «Wenn es zu Reibung kommt, bezieht sich der andere auf mich, es entsteht Beziehung und dadurch letztlich so etwas wie Familiensinn.» Gehen Kinder im Streit aufeinander los, sollten Eltern natürlich eingreifen. «Aber nicht, weil ich den Streit über die Sache nicht möchte, sondern weil es um die Art geht, wie man ihn austrägt.»

Mit dem Raushalten hat auch Heike Abidi gute Erfahrungen gemacht. «Wenn Zwietracht unter uns Geschwistern war, haben meine Eltern nie eine Position ergriffen, sondern waren immer neutral.» Zudem hätten sie ihren Kindern eine gute Streitkultur vorgelebt. «Es war zum Beispiel nie eine Option, jemanden zu schneiden. So lange man über Dinge reden kann, ist alles gut, auch wenn das Gespräch konfliktreich ist.»

Ohne Geschwister fehlt dir was – das haben die Autorinnen in vielen Gesprächen für das Buch herausgefunden. Zwar hätten sich Geschwisterkinder oft gewünscht, das einzige Kind ihrer Eltern zu sein, um deren ungeteilte Aufmerksamkeit zu bekommen. «Aber wenn man ein bisschen älter wird, ist es ganz schön, unter dem Radar bleiben zu können und nicht die ganze Aufmerksamkeit der Erwachsenen zu bekommen», sagt Abidi.

«Unsichtbares Band» können Freunde nicht ersetzen

Auch durch viele Freunde ließen sich Geschwister nicht ausgleichen. «Es ist nicht dasselbe», sagt Ursi Breidenbach. «Einzelkinder konnten sich dann doch nicht vorstellen, wie es ist, wenn man sich die Eltern und Großeltern teilt und auf einen gemeinsamen Erinnerungspool zurückgreifen kann.»

Das «unsichtbare Band» nennen es die Autorinnen, bestehend weniger aus den gemeinsamen Genen als vielmehr aus den «Weißt du noch»-Erinnerungen. «Das schweißt zusammen», sagt Heike Abidi und Ursi Breidenbach ergänzt: «Es gibt Zeiten, wo anderes wichtiger ist, das Band ist dehnbar, aber es reißt selten und ist eigentlich immer wieder zu reparieren.»

Die meisten Eltern wünschen sich genau das: Dass ihre Kinder ein Leben lang verbunden bleiben. Können sie das gezielt fördern? Eher nicht, glaubt Ursi Breidenbach. Unter ihren Söhnen habe es viel Streit und Eifersüchteleien gegeben, trotz Bemühungen der Eltern. Lasse man der Beziehung Raum, löse sich vieles. «Als der Ältere aus dem Gröbsten raus war, hat sich das von heute auf morgen gelegt und jetzt sind sie mit 15 und 18 Jahren ganz eng miteinander.»

Konkurrenzdenken nicht durch Vergleiche befeuern

Vielleicht eher ein Rat, was Eltern vermeiden sollten: Eifersucht und Konkurrenzdenken unter den Geschwistern zu befeuern. Oft liegt dem das Vergleichen zugrunde. «Das Falscheste, was Eltern tun können, ist, zu vergleichen. Bitte lassen Sie das bleiben!», sagt Psychotherapeutin Hoffmann. «Nehmen Sie jedes Kind als Individuum wahr.»

Wer Geschwister hat, hat auch Verbündete, zum Beispiel gegen die Eltern. Das kennt die Psychologin aus ihrer eigenen Kindheit. So habe sie sich freitagabends immer mit dem Bruder zusammengetan, um länger «Derrick» oder «Der Alte» schauen zu dürfen – auch wenn sie sich vorher vielleicht gestritten hatten.

Ab drei Kindern sind diese übrigens den Eltern gegenüber bei Entscheidungen in der Überzahl. «Dann können Sie sich als Eltern gegenseitig auf die Schultern klopfen», sagt Hoffmann und kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. «Wenn die Kinder etwas durchsetzen wollen und merken: „Wir können das nur gemeinsam schaffen“, dann haben Sie alles richtig gemacht!»

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