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Flüchtlingshelfer brauchen selbst Hilfe

Von Anja Sokolow, dpa

Nach Ausbruch des Ukraine-Krieges kamen Zehntausende Flüchtlinge allein nach Berlin. Viele von ihnen wurden privat aufgenommen. Doch inzwischen kommen Flüchtlingshelfer oft an ihre Grenzen. An wen sie sich wenden können.

Monika Skolimowska/dpa

Fremde, traumatisierte Menschen in der eigenen Wohnung aufzunehmen und mit ihnen zu leben, das kann eine große Herausforderung sein. Wenn Verständigungsschwierigkeiten hinzukommen und ein Auszug nicht so schnell in Sicht ist, benötigen auch Helfer schon mal Unterstützung.

Sie finden sie unter anderem beim Seelsorge-Telefon für Engagierte, das den Namen «Die Hilfe-Hilfe» trägt. Seit Start im April 2022 seien bis heute mehr als 500 Anrufe eingegangen, erzählt Leiter Matthias Oliver Schneider. Das Telefon ist ein Projekt der beiden christlichen Kirchen sowie von Diakonie und Caritas.

Soziale und strukturelle Probleme

«Es melden sich vor allem private Gastgeber mit sozialen und strukturellen Problemen», sagt Schneider. Viele hätten Probleme, auf dem umkämpften Berliner Markt eine Wohnung für ihre Gäste zu finden. Im Laufe der Gespräche stelle sich dann oft heraus, dass sich die Helfenden das Zusammenleben mit den Flüchtlingen zunächst schön vorgestellt hätten. «Sie haben gehofft, dass die Gäste am Familienleben teilnehmen, dankbar sind, sich um Sprachkurse kümmern, ihre Kinder zur Schule bringen», so Schneider.

Doch dies sei nicht immer der Fall. «Es ist vielleicht so, dass sich der Flüchtende im Zimmer vergräbt und gar nichts tut und auch nicht spricht und die Kinder gehen nicht in die Schule. Und dann versucht die gastgebende Familie, alles anzuschieben und da passiert aber nichts», erzählt Schneider. Zur möglicherweise fehlenden Motivation komme eine «wahnsinnige» Sprachbarriere hinzu.

Bei Gastgebern komme dann mitunter der Wunsch auf, dass die Geflüchteten wieder verschwinden würden. Viele hätten aber Probleme damit, sich dieses Gefühl einzugestehen, denn es passe nicht in ihr Selbstbild. «So ein Gefühl darf natürlich gar nicht sein. Wir sind ja alle in unserer Blase nicht rassistisch, nicht fremdenfeindlich und hilfsbedürftige Menschen gehen uns auch niemals auf die Nerven», beschreibt Schneider den inneren Konflikt einiger Engagierter.

Sich widersprüchliche Gefühle erlauben

«Wir sind dafür da, diesem Gefühl ein Ohr zu geben und zu signalisieren, dass es sein darf», sagt Schneider. Schließlich wünschten sich selbst Ehepartner zuweilen gegenseitig auf den Mond. «Die Gespräche mit unseren Ehrenamtlichen können die Probleme nicht auflösen, führen aber zu einer Befriedung», so Schneider. Wenn man sich das Gefühl, den anderen wegzuwünschen erlaube, sei der Druck raus.

Deutschland hat etwas mehr als eine Million Menschen aus der Ukraine aufgenommen. In Berlin leben nach Schätzungen der Sozial- und Innenverwaltungen rund 60.000 Flüchtlinge – Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey sprach auch schon von 100.000 Flüchtlingen. «Sie leben zum großen Teil in privaten Unterkünften», berichtet ein Sprecher der Sozialverwaltung. Etwa 4200 Flüchtlinge wohnten in Gemeinschaftsunterkünften, aber auch in angemieteten Hotels und Hostels. Aktuell seien außerdem etwa 2100 Personen im Ukraine-Ankunftszentrum Tegel und der dortigen Notunterkunft untergebracht.

Die Hilfe von privaten Gastgebern sei bei der Unterbringung von entscheidender Bedeutung. Dass nun einige Gastgeber nach einem Jahr Krieg gegen die Ukraine zu dem Schluss kämen, dass sie ihre privaten Räume wieder benötigten, sei durchaus nachvollziehbar. Es müssten nicht immer Konflikte und Probleme die Ursache eines Auszugs sein, obwohl so etwas selbstverständlich vorkomme.

Schwere Wohnungssuche in Großstädten

«Die Wohnsituation ist ein Riesenproblem. Die Geflüchteten wollen die Helfer nicht belasten, aber auf der Straße können sie ja auch nicht leben», sagt Tatjana Michalak, Leiterin der russischsprachigen Telefonseelsorge «Doweria» (Vertrauen), die mit ihren Kollegen die Probleme kennt. «Es ist wirklich ein Drama in Berlin, dass es wenig Wohnungen gibt», so Michalak. Andererseits würden viele der Geflüchteten auch nicht in kleinere Städte ziehen wollen, wo das Wohnungsangebot deutlich besser sei.

Neben dem Wohnungsmangel gehe es bei den Doweria-Anrufern vor allem um psychische Probleme. «Viele haben posttraumatische Belastungsstörungen und brauchen Hilfe», sagt Michalak, die mit ihren Kollegen auch mit Adressen weiterhilft. Auch viele Kinder seien traumatisiert. «Manche nässen nachts ein oder schreien im Schlaf», berichtet Michalak.

Das russischsprachige Seelsorgetelefon besteht bereits seit 1999 und ist rund um die Uhr erreichbar. Seit dem Ukraine-Krieg habe sich die Anzahl der Anrufe auf etwa 35 bis 40 pro Tag verdreifacht. 85 aktive Ehrenamtliche seien im Einsatz, berichtet Tatjana Michalak. Weil der Bedarf so groß sei, sind in diesem Jahr erstmals zwei Kurse für neue Ehrenamtliche geplant. Unter den Teilnehmern sind erstmals auch Flüchtlinge, die sich bereits eingelebt haben.

Beim «Hilfe-Hilfe»-Telefon habe sich die Situation inzwischen etwas gelichtet, sagt Schneider. Er will sich nun auch auf eine andere Zielgruppe konzentrieren: «Wir merken, dass der Bedarf bei den Menschen weiterhin besteht, die nach wie vor am Bahnhof stehen und Geflüchtete weiterleiten», so Schneider. Diese Helfer gehörten keinen Organisationen an, die sie in schwierigen Situationen auffangen und schützen könnten.

Service:

Telefon Doweria Berlin: 030-440-308-454, rund um die Uhr

Hilfe-Hilfe, Seelsorgetelefon für Engagierte: 030-403-665-888 täglich von 18.00 bis 22.00 Uhr

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