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Ab wann dürfen Kinder allein übers Essen entscheiden?

Von Interview: Claudia Wittke-Gaida, dpa

Noch Jahrzehnte später tischen einem Eltern Storys auf, was sie alles versucht haben, um Spinat und Co. in die «Futterluke» zu schieben. Eine Erziehungsexpertin erklärt, wie man es besser macht.

Christin Klose/dpa Themendienst/dpa-tmn

Wenn sie noch nicht sprechen können, machen Babys den Mund einfach nicht auf oder drehen den Kopf weg. Später verkünden Kinder: «Iiiih, das ist grün, das mag ich nicht».

Wenn Kinder deutlich zeigen, dass sie etwas nicht oder nicht mehr essen möchten, bringen sie damit Eltern oftmals zur Verzweiflung. Die lassen sich dann allerlei Klamauk einfallen, es den Kindern doch noch irgendwie einzuverleiben.

«Liebe Eltern, hört damit auf!», sagt Kira Liebmann, Gründerin der Akademie für Familiencoaching im bayerischen Maisach, im Interview.

Was ist so schlimm daran, wenn Eltern die Essensmengen ihrer Kinder im Blick haben?

In vielen Familien ist Essen ein großes Thema. Gerade bei kleinen Kindern wachen die Mütter genau darüber, was das Kind gegessen hat und wie viel. Da wird sich lange darüber ausgetauscht, ob ein halbes Gläschen nicht doch zu wenig ist und wie man noch mehr in das Kind hineinbringen könnte. Kleine Kinder werden spielerisch mit Flugzeuggeräuschen dazu animiert, noch mehr Essen aufzunehmen.

Wenn Eltern ihren Kindern die Verantwortung für das eigene Sättigungsgefühl absprechen, erziehen sie Kinder dazu, selbstverständlich zu viel zu essen.

Kinder wollen kooperieren und wenn sie sehen, dass es die Eltern glücklich macht, wenn sie essen, werden sie sehr schnell dazu neigen, über ihr Sättigungsgefühl hinaus zu essen – um zu gefallen, nicht aber weil ihr Körper noch mehr braucht.

Babynahrungshersteller bieten zwar Einheitsgrößen für ihre Babygläschen. Das heißt aber nicht, dass jedes Kind immer ein komplettes Glas essen muss. Diese Normgrößen sagen ja nichts über individuelle Portionsgrößen aus. Denn es gibt Phasen, da essen Kinder sehr viel – meist kurz bevor sie einen Entwicklungssprung machen.

Dann gibt es Kinder, die sind lange extrem dünn, andere scheinen eher rundlich – meist kurz bevor sie schnell nach oben wachsen. Daher kann man keine pauschale Aussage darüber machen, welche Portionen «normal» sind.

Grüne Lebensmittel wie Spinat sind sehr gesund. Eltern wollen ja meist, dass ihre Kleinen davon profitieren. Wie sollte man sie auf den «gesunden» Geschmack bringen?

Evolutionär ist alles was grün ist, giftig oder unreif. Daher ist es in uns angelegt, dass wir erstmal nichts Grünes essen. Das ist keine generelle Verweigerungshaltung der Kinder, das hat uns Menschen viele Tausende von Jahren das Überleben gesichert. Dieser Reflex wird erst mit wachsendem Alter abgelegt. Daher ist es normal, wenn sich Kinder am liebsten von dem ernähren, was sie kennen, was ihnen schmeckt und was meistens süß ist.

Aber indem wir Kindern möglichst viele verschiedene Geschmäcker zu essen anbieten, sorgen wir dafür, dass sie offen und neugierig bleiben. Manchmal müssen Kinder neue Speisen bis zu 20-mal probieren, bis sie anfangen diese zu mögen.

Wie so oft lernen Kinder auch Essen am Modell der Eltern. Eltern sind die wichtigsten Vorbilder. Wenn sie sich Zeit nehmen zu den Mahlzeiten, statt vor dem Fernsehen zu essen, wenn Eltern vieles probieren und sich ausgewogen ernähren, gehen die Kinder in der Regel auch mit. Deshalb ist es auch wichtig, wenn Eltern an der Stelle vor allem bei sich schauen – wie gehen wir mit dem Thema Essen um und was leben wir unseren Kindern vor.

Ab wann sollten Kinder allein entscheiden, wie viel und was sie essen?

Von Beginn an! Deshalb sollte man auch nie darauf bestehen, dass der Teller leer gegessen wird.

Je älter die Kinder werden, umso selbstbestimmter werden sie. Eltern sollten Essen weder als Druckmittel noch als Waffe missbrauchen. Ich erlebe immer wieder Jugendliche, die sehr dünn werden, weil Essen das einzige ist, was sie kontrollieren können. Sie sind im Alltag so zugeschüttet mit Aufgaben und fremdbestimmt, dass Essen oder Nicht-Essen der einzige Bereich ihres Lebens ist, in dem sie selber bestimmen können: was, wann und wie viel.

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