// lieferbeginn readonly Skip to main content

Der Ton wird immer rauer

Von Nicole Hauger

Portrait Nicole Hauger

Triggerwarnung: In diesem Text werden unflätige Wörter benutzt! Denn es ist an der Zeit, über Sprache zu sprechen. Die geht nämlich meines Erachtens gerade den Bach runter. Ich erlebe es zu Hause hautnah. Kind beim Zocken: „Ey Digga, was soll die Sch***? Den hättest du haben müssen, du dämlicher W***!“

Ähm, geht’s noch? Ich meine, wofür all das Vorlesen, das Miteinanderreden, die Erziehung? Wörter, für die man früher – verzeihen Sie bitte die Wortwahl – sofort eins auf die Fresse gekriegt hätte, flutschen den jungen Leuten untereinander ganz selbstverständlich durch die Lippen. „Mama, unter Buddies ist das voll okay!“, höre ich meinen Sohn dann sagen. „Das ist ganz liebevoll gemeint!“

Verstehe. Wobei, nein, ich verstehe ganz und gar nicht. Sprache ist ein so wichtiger Bestandteil im Umgang miteinander, dass ich diese Verrohung nicht hinnehmen kann und täglich tapfer dagegen ankämpfe. Ich bin überzeugt (und Neurowissenschaftler stimmen mir zu): Sprache beeinflusst das Denken und Fühlen von Kindern und Jugendlichen, denn Sprechen und Handeln sind im Gehirn eng miteinander verbunden. Schulterzucken beim Gegenüber. Cool, Mama!

Sie glauben nicht, was ich schon alles versucht habe gegen das Siechtum des Umgangstons: Von Strichlisten bis Schimpfwortkässchen – wirklich besser geworden ist es leider nicht.

Warum ist das so? Vielleicht, weil man im Internet alles sagen kann, ohne dass jemand mit erhobenem Zeigefinger danebensteht. Oder weil in manchen YouTube-Videos und TikToks ganz schön grob geredet wird – und das wirkt dann plötzlich cool. Auch in der Politik wird der Ton immer rüder und rüpelhafter und selbst manche Präsidenten scheren sich nicht mehr wirklich um eine höfliche Wortwahl.

Es scheint ein Kampf gegen Windmühlen, wenn schon der ehrenwerte Langenscheidt-Verlag in seiner Top Ten der Jugendwörter des Jahres den Begriff „Sybau“ aufnimmt. Klingt niedlich, bedeutet aber: „Shut your bitch ass up“. Ältere Generationen sagten dazu noch „Halt die Fresse“, wie der Verlag dankenswerterweise erläutert.

Sprache ist wie ein Werkzeug. Man kann damit tolle Dinge bauen – Freundschaften, Geschichten, sogar ganze Welten! Aber man kann damit auch verletzen, das haben viele Kinder und Jugendliche nicht mehr auf dem Schirm. Worte können weh tun, auch wenn man keine blauen Flecken sieht.

Zum Beispiel: Wenn jemand immer wieder „Du Opfer“ genannt wird, fühlt sich das auf Dauer verflixt mies an. Wenn man statt „Nein, danke“ ein „Verpiss dich!“ hört, ist das nicht direkt und ehrlich – sondern einfach nur unhöflich.
Also: Lasst uns reden – aber so, dass andere auch noch zuhören wollen. Denn nette Worte machen die Welt nicht uncooler. Nur ein bisschen netter.

null